Kleines Fest im Kirchengarten

Mon, 28 Aug 2023 10:03:01 +0000 von Elke Spinneker

Der Kirchengarten Pastorenhof ist ein zauberhaftes Paradies mitten in Bardowick geworden!
Bei einem kleinen Fest wurde der Garten vorgestellt, leckere Kleinigkeiten gegessen, gesungen und einem Gedicht gelauscht.
Wer mitmachen möchte, kommt einfach am Montag um 16 Uhr im Kirchengarten zum Gärtnern vorbei.



Goldmarie

Was bin ich?

Da ist dunkle, krümelige Masse um mich herum, mal fester, mal ganz locker, mal kälter, mal wärmer, nass oder ganz trocken.

Lange, weißliche dicke Fäden durchziehen wie Würmer diese Masse, wachsen aus einem Zentrum heraus immer länger, suchend, immer weiter nach allen Richtungen hin.

Bin das ich?

Ich spüre, wie ich wachsen will: weiter, breiter, fester...

Jetzt geschieht es: An einem dieser Fäden bildet sich ein Knoten, wächst sich zu einem saftigen, runden Ding heraus, bildet eine schützende, feste Haut, zieht seine Kraft über den Faden mühelos aus dem Zentrum heraus. Dieses Ding bin ich! Aus dem Zentrum ziehe ich auch das Wissen, wie ich wachsen muss. Und das tue ich jetzt, es fühlt sich so gut an, aufgehoben in dieser dunklen, sättigenden Masse!

Das ist die Mutter Erde.

Und ich erahne jetzt auch etwas anderes außerhalb der Erde: hell, weit, leicht.. dort wächst es auch aus dem selben Zentrum heraus in einer anderen Form, nach oben strebend und gibt mir Kraft.

Um mich herum spüre ich andere Knollen wachsen, aus anderen weiBen Fäden heraus. Wir sind miteinander verbunden, und doch ist jede für sich in ihrer eigenen Form und Saftigkeit, von ihrer eigenen Hülle umgeben.

lch will jetzt nichts gar anderes mehr, als hier gemeinschaftlich in der Erde eingebettet wachsen und wachsen.

Jetzt höre ich auf zu wachsen; das, was oben war, stirbt jetzt ab. Das Zentrum ist leer. Ich bin jetzt vollendet.

Wofür bin ich da?

lch bin in heiliger Erwartung.

lch bin so gespannt, ich bin bereit!

Jetzt geschieht etwas mit mir: Zusammen mit den Anderen werde ich heraus-gehoben aus der Erde. Dort draußen ist es ganz hell und warm und trocken. Meine Haut wird ganz samtig und bekommt einen leichten goldenen Schimmer. Zusammen mit den Anderen werde ich in eine knisternde braune Tüte gesteckt. Dann liegen wir in der Tüte in einem Bio Laden (wie ich jetzt weiß). Ich höre, wie eine Kundin fragt nach einer besonders nahrhaften und gut schmeckenden Kartoffel. Die Verkäuferin ist ganz begeistert: ,,Da gibt es eine alte Sorte, die Goldmarie, die haben wir gerade neu hereinbekommen. Eine wunderbare Kartoffel!“

Die Frau nimmt uns mit nach Hause zu ihrer Familie. Jeden Tag holt sie ein paar von uns aus der Tüte, stellt wundersame Dinge mit ihnen an und sie essen sie mit Genuss. Jetzt weiß ich, wofür ich da bin: lch darf den wunderbaren Menschen als Nahrung dienen, ohne die sie gar nicht sein könnten, und dadurch vielleicht auch ein Tell von ihnen werden, ganz neue und aufregende Dinge erleben!

Bald sind nur noch ganz wenige von uns in der Tüte, Wir werden aber nicht herausgenommen. Langsam merke ich, wie ich ein wenig weniger saftig bin, meine Haut schrumpelt und wird von kleinen weißlichen Spitzen durchstoßen. lch bin unsagbar enttäuscht, fühle mich vergessen, mein Dasein ist vergeudet, sinnlos.

Jetzt holt uns die Frau aus der Tüte, bringt uns mit den Kindern zusammen in den Garten. Sie zeigt ihnen, wie man ein Loch in die Erde gräbt, wie breit und wie tief es sein muss. Dann nimmt das jüngste Kind mich vorsichtig in seine kleine Hand (das fühlt sich so gut an!) und legt mich in das Erdloch, so, dass die weißlichen Spitzen - die sind inzwischen schon ein bisschen gewachsen - nicht abbrechen.

Nun werde ich sanft mit Erde bedeckt.

Wie vertraut sich das anfühlt! Wieder bin ich umgeben von der dunklen Masse, an die ich mich so gut erinnern kann, nur dass ich jetzt nicht immer voller und saftiger werde, sondern eher in mich hinein schrumpele, die hellen Fäden nach allen Seiten hin wachsen lasse.

Jetzt weiß ich, wozu ich da bin, was meine Stellung und meine Aufgabe ist in dieser Welt, denn da ist ja eine ganze Welt um uns!

Mein ganzes Sein, das Leben, mein Wissen und meine Erinnerungen gebe ich in die kleinen runden Knollen, die sich jetzt überall gebildet haben, die eifrig wachsen und staunend lauschen, was sie von mir zu hören bekommen, was auch ich einmal gehört, ja: erlebt - und nur vergessen hatte: Wie alles miteinander verbunden ist, alles sich in einem ewigen Reigen immer wieder neu erfährt, bewegt, erlebt und erfindet:

Wir sind das Wasser, das alles durchdringt, die Erde, die alle Stoffe aufnimmt, verwandelt, Neues wachsen lässt, luftiger Himmel, Feuer, Pflanzen, Tiere, Menschen... die Spinne lässt sich im Dschungel an einem seidenen Faden herab und wird von einem Vogel entdeckt und gefressen, ein kleines Kind schleckt an seinem Eis, Sturm tobt über das Meer. Ein Fischlein versteckt sich flink in der Koralle, ein junger Mann wird von seiner Geliebten verlassen und leidet. Später erlebt er die Glückseligkeit und wird zum Lehrer für andere Menschen. Auf dem Hamburger Dom kreischen die Menschen in der Achterbahn, die Löwin belauert eine Gazelle, ein kleiner Elefant wird geboren, eine rot getigerte Katze mag ihr Futter nicht, eine dankbare Frau feiert ihren Geburtstag und verspeist mit Genuss eine Pellkartoffel mit Butter und Salz:

Goldmarie!



Konstanze Freygang
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