St. Nikolaihof

Quelle: Trixi Sesterhenn
In einer Urkunde von 1251 wird das „Haus der armen Kranken“, unmittelbar vor der Ortsgrenze Bardowicks an der Straße nach Lüneburg gelegen, erstmals genannt. Der Bischof von Verden bestätigt in dem Dokument, dass dem Hospital der „Zehnte“ aus den Gütern des Dominus Wido zusteht.

Die Einrichtung gehörte der Stadt Lüneburg, die hier anfangs Leprakranke unterbrachte. Die Lepra, eine unheilbare und mit jahrelangem Siechtum verbundene Krankheit, war mit den Kreuzzügen hierher gekommen. Aus Angst vor Ansteckung brachte man die Kranken allerorts in Häusern außerhalb der Stadtmauern unter, in denen sie abgeschlossen lebten. 

Die Stadt Lüneburg übernahm mit dem Nikolaihof vielleicht ein Bardowicker Armenhaus, das nach der Zerstörung der Stadt 1189 nicht mehr gebraucht wurde. Da es jedoch keine Nachrichten über die Gründung des Hospitals gibt, muss es bei der Vermutung bleiben.

1306
wird ein Geistlicher für die Kapelle des Leprosenheims erwähnt, 1316 taucht erstmals die Bezeichnung St. Nikolaihof auf. Nachdem die Lepra im 14. Jahrhundert erloschen war, wurde der Nikolaihof in ein Altenheim umgewandelt, in das sich Lüneburger Bürger einkaufen konnten. Männer und Frauen – auch Ehepaare – wohnten in getrennten Häusern. 

Für die Jahre 1410-1466 existiert ein umfangreiches Rechnungsbuch über St. Nikolaihof, geführt vom Lüneburger Ratsherren Hinrik Lange, der das Altenheim verwaltete. Daraus lässt sich erkennen, dass vierzig Männer und Frauen die Kammern im Männer- und im Frauenhaus bewohnten. Weitere vierzig Personen, Knechte, Mägde, Viehhirten, dazu Küster, Organist, Pastor und Hofmeister arbeiteten hier. 

Es gab reichliche Einnahmen aus Anteilen an Lüneburger Salzpfannen, aus Grundstücken und Häusern, aus der Badestube, Fischbänken, Almosenständen, der Pacht des Bardowicker Schleusenmeisters sowie dem Verkauf von Korn, Eiern, Vieh, Fellen, Leder und Wolle. 

Die wirtschaftlichen Verhältnisse waren so gut, dass Verwalter Hinrik Lange die Anlage gründlich renovieren lassen konnte. So wurde der Wirtschaftshof gepflastert, eine neue Umzäunung bis um den anschließenden Eichhof geführt, die Waschstege an der Ilmenau wurden befestigt. Für das fortschrittliche „Pishuse“, den Abtritt, wurde eine  Flusswasserleitung gelegt.

1435 ließ der Lüneburger Ratsherr Hinrik Lange die Backstein-Kapelle umbauen. Die Außenmauern des einschiffigen Saales wurden erhöht, die Fenster vergrößert und wahrscheinlich ein neuer, polygonaler Chor angebaut. Für den Dachstuhl über dem neuen Gewölbe wurden Balken des alten Daches wieder verwendet. Durch dendrochronologische Untersuchungen konnte das Fälldatum der älteren Hölzer auf 1310 festgelegt werden. Kurz danach wird also die alte Kapelle errichtet worden sein. Die jüngeren Hölzer wurden in den Jahren 1431-34 gefällt. Der Turm war bereits im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts angebaut worden. Im Mai 1436 weihte der Verdener Bischof die umgebaute Kapelle mit drei Altären. Bei einer weiteren Baumaßnahme ließ er 1445 der Kapelle eine Sakristei mit einer darüber liegenden Orgelempore hinzufügen. Es wurde dann ein gebrauchtes Orgelwerk angekauft, das 1436 durch die Lüneburger Johanniskirche veräußert wurde.

Im 19. Jahrhundert wurde die Kapelle dem Zeitgeschmack nach mit einem heidetypischen Kanzelaltar versehen, der in den 1960er Jahren wieder entfernt und durch ein schlichtes Holzkreuz ersetzt wurde. Zeitgleich mit der Errichtung des Kanzelaltars wurde auf der Westempore ein gehäuseloses, pneumatisches Orgelwerk mit 15 Registern auf zwei Manualen erbaut. Es war von minderer Qualität und auch eher als Orgelbau eines geneigten Laien zu bezeichnen. Die hölzernen Orgelpfeifen dienten den Bewohnern des Nikolaihofs nach dem zweiten Weltkrieg als Heizmaterial. Die historisch wertvollen Pfeifen wurden glücklicherweise nicht angetastet und auf den Dachboden der Kapelle verbracht, wo sie - fast vergessen - die Zeit unbeschadet überdauerten.
 
Im Jahre 1961 wurde ebenfalls auf der hölzernen Westempore eine „neue“ Orgel errichtet. Vier ihrer 10 Register, die größtenteils aus Pfeifen aus dem frühen und späten 16. Jh. bestehen, kommen noch aus der Orgel von 1436, die Hinrik Lange anschaffte.

Die historisch bedeutenden Orgelpfeifen wurde umfangreich und nach dem Kenntnisstand der Zeit durch die Hildesheimer Orgelbaufirma Ernst Parlandt aus Hildesheim restauriert und in einem Eichengehäuse neu gefasst. Diese Orgel wurde 2012 wegen Umfangreicher Renovierungs- und Bauarbeiten ausgebaut.

Virtuelle Führung durch die Nikolaikirche:
https://kirchenfuehrung.com/nikolaikirche-bardowick/
 

Disposition der Parlandt-Orgel von 1961
 
Manual
 Gedackt         8*
 Quintade       8
 Prinzipal        4*
 Flöte               4*
 Oktave           2*
 Mixtur             III
 Dulzian          8 
 
 Pedal
 Subbaß          16
 Spillflöte        2
 Trompete       8
 
 Koppel: Manual / Pedal


Bereits 2012 wird erwogen, dass diese Orgel durch Neufassung in einen Zustand verbracht wird, die diesem bedeutenden Pfeifenbestand historisch und künstlerisch entspricht. Mit dem technischen Neubau der Orgel auf dem Nicolaihof wurde 2013 die Orgelbauwerkstatt Alexander Schuke Potsdam betraut. Im Vorwege wurden die historischen Orgelpfeifen abermals aufwändig restauriert und für den Wiedereinbau ertüchtigt.

Disposition der Schuke-Orgel von 2013

Manual
 Gedackt         8
 Quintadena   8
 Prinzipal        4
 Rohrflöte       4
 Oktave           2 
 Sesqualter     II
 Mixtur            III
 Trompette     8
  
 Pedal
 Untersatz      16

Koppel: Manual / Pedal

Register:                               9
 Pfeifenzahl:                          495
 Tastenumfang Manual:       C-D,E-c’’’ / Kurze Oktave 
 Tastenumfang Pedal:          C-D, E-d’ / Unter Weglassung von Cis und Dis
 

Die Besonderheiten der Schuke-Orgel auf dem Nikolaihof in Bardowick:

Die kurze Oktave

In der Frühzeit des Orgelbaus wurde in der Regel bei allen Tasteninstrumenten die tiefste (d. h. die große) Oktave nicht vollständig mit Halbtönen versehen. Man baute stattdessen fast immer Klaviaturen mit so genannter kurzer Oktave (C, F, D, G, E, A, B, H) oder gebrochener Oktave (zusätzlich mit Fis und Gis; vereinzelt finden sich auch Varianten der kurze Oktav ab G1). Noch bis Mitte des 18. Jahrhunderts wurde meistens das große Cis weggelassen.

Die mechanische Windanlage – Keilbalg mit Tretanlage / Elektromotor

Die mittelalterliche Orgel nutzte zur Windversorgung den so genannten Schmiedebalg, der bereits bei der Verarbeitung von Eisen gute Dienste bei der Entfachung des Schmiedefeuers leistete.

Als nachteilig erwies sich das Leder zwischen den beiden Platten eines Schmiedebalges, das sich beim Zusammendrücken in Falten legte und dort frühzeitig brüchig wurde. Überdies wurde das Leder rasch von Mäusen und Ratten angenagt und gefressen.

Diese Probleme wurden im Spätmittelalter durch Erfindung des Spanbalgs oder Keilbalgs minimiert: Das Leder wurde größtenteils ersetzt durch keilförmig zugeschnittene Bretter ("Späne"), die so mit Hilfe von Lederstreifen miteinander verbunden wurden, dass sie sich in Falten zusammenlegen und wieder auseinander ziehen ließen.

Die mitteltönige Stimmung

Die Stimmung der Nikolaihoforgel ist mit bedacht ‚mitteltönig’ gewählt, da man aufgrund des bedeutenden Pfeifenmaterials diesem Instrument eine Klangausage zurückgeben wollte, die der historischen Bedeutung der Renaissance-Pfeifen vollumfänglich gerecht wird. Die Nachteile, die sich zwangsläufig für die kirchenmusikalische Nutzung dieser Orgel bei Gottesdiensten durch dieses Stimmsystem ergeben, wurden bei der Planung des Orgelbaus sorgsam gegeneinander abgewogen. Die konsequente Umsetzung lohnt nun aber durch ein besonderes Klangerlebnis, die diese Orgel für die hiesige Orgellandschaft so bedeutend macht.

Was bedeutet mitteltönig?
Für das goldene Zeitalter der Renaissance gewann das Intervall der Terz große Bedeutung. Die Terz teilt einen Akkord in Dur oder Moll. Die Terzen der pythagoreischen Stimmung  waren sehr unsauber. Eine neue Temperatur wurde entwickelt: die mitteltönige Stimmung. In diesem System werden alle Terzen rein gestimmt. Mit diesen reinen Terzen klingen die damals wichtigen Tonarten C-Dur, G-Dur, F-Dur und D-Dur strahlend und klar.
 
Es gab allerdings immer noch das Problem, dass das Stimmen in diesem Stimmsystem nicht aufging. Tonarten, die mit mehr als drei Vorzeichen notiert waren, konnten nicht verwenden werden. Sie klangen unzumutbar verstimmt. Entferntere Tonarten wie As-Dur, Fis-Dur usw. galten in der Musiktheorie zwar als konstruierbar, waren aber in der Musizierpraxis völlig unbrauchbar.

Die Lösung: Ein Kompromiss!

Für die Komponisten der Barockzeit war dieser Zustand sehr unbefriedigend, wollten sie doch alle Tonarten gleichberechtigt verwenden können. Der Organist und Musiktheoretiker Andreas Werckmeister tüftelte lange an einem neuen Stimmsystem. Er kam zu folgender Lösung: Statt nur eine Quinte zu haben, die völlig verstimmt ist – die "Wolfsquinte" – verteilte er diese Verstimmung gleichmäßig auf vier Quinten. Werckmeister machte aus einer sehr verstimmten Quinte einfach mehrere weniger verstimmte Quinten. Endlich wurden alle Tonarten spielbar!
 
Der Auftraggeber von Andreas Werckmeister war der Lübecker Organist und Komponist Dietrich Buxtehude. Der junge Johann Sebastian Bach war längere Zeit bei Buxtehude zu Gast, um sich von ihm unterrichten zu lassen und lernte bei ihm das neue System von Werckmeister kennen. J.S. Bach war  von diesen neuen Möglichkeiten begeistert! Durch dieses Stimmsystem war es ihm erstmals möglich, Kompositionen in allen Tonarten zu verfassen. 
 
Moderne Gleichberechtigung

Werckmeisters Stimmung entspricht noch nicht ganz unserer heutigen. Seine Idee, das pythagoreische Komma zu verteilen, wurde weiterentwickelt. Im 19. Jahrhundert verteilte man es schließlich gleichmäßig auf alle zwölf Halbtöne. Seither sind wirklich alle Tonarten komplett gleichberechtigt. Diese Stimmung nennt man gleichstufig oder gleichschwebend. Der Preis, den wir dafür heute zahlen, ist hoch: Wir haben keine reinen Tonarten mehr und außer der Oktave sind uns auf Tasteninstrumenten auch keine wirklich reinen Intervalle mehr geblieben. Alle schweben – und zwar gleich stark. Daher der Name. Wir haben uns zwar längst daran gewöhnt, aber wenn man es genau nimmt, sind alle Tonarten auf dem modernen Klavier unsauber. 



Öffnungszeiten

Die Nikolaikirche ist im Moment nicht durchgehend geöffnet. Der Schlüssel zur Kirche kann zu den Öffnungszeiten der Bücherei im Nebengebäude abgeholt werden.