Die Orgel des Doms

Quelle: Thomas Werner
Die Akustik des Doms zu Bardowick wird von vielen namhaften Musikern und Musikliebhabern  hoch gerühmt. Die künstlerisch äußerst wertvollen aus dem Mittelalter stammenden Kunstschätze der gotische Schnitzaltar von 1430, das Chorgestühl von 1470 und die Taufe von 1367 ziehen Kunstliebhaber aus vielen Ländern in ihren  Bann.

Der Dom zu Bardowick blickt auf eine der längsten kirchenmusikalischen Traditionen Norddeutschlands zurück. Sie beginnt um das Jahr 799  in der dem heiligen Petrus geweihte erste Kirche von Bardowick. Die erste Orgel wurde bereits im Jahre 1322 erwähnt und wurde von einem unbekannten Meister errichtet.

Nach eingehender Beratung zwischen dem Orgelsachverständigen der Klosterkammer, Professor Harald Vogel, Organist von internationaler Reputation, der als führende Autorität auf dem Gebiet der Interpretation deutscher Orgelmusik von der Gotik bis zur Barockzeit gilt, sowie dem Domkantorat, entschlossen sich Klosterkammer und Domgemeinde zum Neubau einer konzeptionellen Rekonstruktion im Stile einer mitteldeutsche Stadtkirchen-Orgel mit drei Manualen und 46 Registern. Sie bereichert die ohnehin schon reiche norddeutsche Orgellandschaft um ein weiteres hervorragendes Instrument.

Dem Projekt liegt ein Konzept zu Grunde, das als Ausgangspunkt Vorbilder des thüringischen Orgelbaus aufgreift, nicht im Sinne einer Stilkopie, sondern in innovativer Einpassung in die akustisch günstigen Raumverhältnisse des gotischen Bardowicker Domes.

Hinter der Planung steht der Wunsch nach einem Instrument, das sich gut für die Darstellung der Orgelmusik von Johann Sebastian Bach eignet, aber gleichzeitig die Interpretation von anderen Stilbereichen des Orgelrepertoires zulässt und die Anforderungen des gottesdienstlichen Orgelspiels in Bardowick erfüllt.

Der Prospekt wird dabei in die ursprüngliche Position auf der Empore vorgerückt, so dass die Proportionen aus der Erbauungszeit wieder sichtbar werden. Die Möglichkeit einer im Prospekt ablesbaren Werkaufteilung in Hauptwerk, Oberwerk und Pedal wird berücksichtigt, damit  eine Übereinstimmung von Prospektbild und Klangabstrahlung gegeben ist.

Die neue Orgel im Dom zu Bardowick wurde in enger Anlehnung an den mitteldeutsch thüringischen Stil von Tobias Heinrich Gottfried Trost (ca. 1680-1759) und Zacharias Hildebrandt (1688 – 1757 ) geplant. Trost gehörte zu den einfallsreichsten Orgelbauern der Barockzeit. Er entwickelte eine Bauweise, die durch technische Neuerungen  sowie durch Differenzierung und Finesse uns heute noch in Erstaunen versetzt. Hildebrandt arbeitete zunächst mit Gottfried Silbermann zusammen und stand seit 1723 in enger Verbindung mit Johann Sebastian Bach. Im Meisterwerk von Hildebrandt in Naumburg verbinden sich Gravität, Transparenz und ein großer Reichtum an Klangfarben.

Die großen Werke von Trost in Altenburg und von Hildebrandt in Naumburg wurden von Johann Sebastian Bach selbst gespielt und hoch gelobt. Es sind die einzigen großen Orgelwerke Mitteldeutschlands, die sich in Klang und Spielart in dem Zustand befinden, den Bach kennen gelernt hat.

Der Dom zu Bardowick bietet die idealen Voraussetzungen für die Orgel diesen Typs auf der Grundlage der Bauweise von Trost und Hildebrandt. Der bestehende Prospekt aus dem 19. Jahrhundert erlaubt eine Raumdisposition der Orgel, die alle Elemente des mitteldeutschen Stils der Bachzeit enthalten kann. Die Akustik ist hervorragend und erlaubt die angemessene klangliche Entfaltung sowohl der monumentalen Spätwerke  als auch der mehr kammermusikalisch orientierten Werke Bachs und seiner Schule.

Daraus folgt, dass die neue Orgel des Bardowicker Doms trotz ihrer formalen Einordnung in das späte Orgelbarock eine enorme interpretatorische Bandbreite besitzt . Damit kann dieses Projekt gut in die Orgellandschaft zwischen Hamburg und Lüneburg eingebunden werden.

Zwischen den mit der Biographie Bachs in enger Verbindung stehenden historischen Orgelwerken in Lüneburg (St. Johannis), die den jungen Bach unter Anleitung seines Lehrers Georg Böhm zu seinen Frühwerken inspirierte und Hamburg (Hauptkirchen St. Jacobi und St. Katharinen) die den bereits zur Meisterschaft gereiften Musiker durch ihre klangliche Vielfalt faszinierten, spielt die Orgel in Bardowick eine hervorragende Rolle , da sie den musikalischen Vorstellungen Bachs in seinen letzten Lebensjahrzehnten  entspricht.

Die einzige große Orgel im mitteldeutschen Stil, die in Norddeutschland existierte, wurde ab 1762 von Hildebrandts Sohn Johann Gottfried in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis erbaut; sie wurde 1906 durch den großen Hamburger Brand vernichtet.

Die zentrale Lage des Domes von Bardowick zu den norddeutschen Musikhochschulen in Hannover, Hamburg, Bremen und Lübeck von großer Bedeutung. Die Orgelempore bietet mehr Raum für Kurse und Seminare als es bei den historischen Instrumenten der Fall ist. Für Forschungs- und Lehr-Projekte der umliegenden Musikhochschulen und Universitäten eignet sich Bardowick in besonderer Weise durch die guten Raum- und Nutzungsbedingungen.


Geschichte unserer Orgel

1322 | Erste Erwähnung einer Orgel im Dom zu Bardowick. Musikwissenschaftler gehen allerdings davon aus, dass auf Grund der Bedeutung des Orts als Handelsplatz, bereits vor dieser Orgel ein gotisches  „Blockwerk“ vorhanden war.

1388 | Vikar Johannes Edendorp vermacht dem Domstift testamentarisch eine Pfanne Salz zur Reparatur der maroden Orgel.

1487 | Bei der großen Renovierung des Domes wird eine neue Orgel eingebaut. Über Größe und Umfang dieses Instruments ist nichts bekannt. Man vermutet, dass es auf dem Lettner gestanden haben muss. In diesem Zusammenhang fällt der Name eines Orgelmachers Schmeding auch über diesen ist nichts Näheres bekannt.

1561 | Nach Pfingsten wurde die Orgel von dem berühmten Hamburger Orgelmacher Jacob Scherer gründlich reparier und mit einem Prospekt dieser Zeit versehent. Ein Jahr später wurde dieses Instrument „in gutem Stande“ wieder übergeben.

1627 | Die Domorgel fällt durch Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges den Flammen zum Opfer.

1630 | Am vierten Advent 1630 wird eine neue Orgel durch Superintendent Melchior Caspar Triccius  mit einer Predigt über Psalm 98, Vers 6 und 7 feierlich eingeweiht.

1842 | Die bereits seit längerem stillgelegte Orgel wird aus dem Dom entfernt.

1850 | Das Stiftsvermögen St. Petri et Pauli, Bardowick wird dem allgemeinen Klosterfonds (heute Klosterkammer)  zugeschlagen. Die Klosterkammer ist somit Eigentümerin des Doms

1868 | Eine neue mechanische Orgel wird durch den Elzer Orgelbauer Philipp Furtwängler erbaut. Dieses ist das letzte Orgelwerk von Philipp Furtwängler. Der prächtige neogotische Prospekt wurde der Ausstattung des Hauptschiffes angepasst. Die Disposition  entsprach dem Zeitgeschmack.

1951 | Die Furtwängler–Orgel wird durch die Nachfolgefirma Hammer-Orgelbau im Geschmack der Zeit zu einem neobarocken Instrument umgestaltet. Das Pfeifenmaterial  wurde, wie in dieser Zeit üblich, der Art umgearbeitet, dass sie jeden historischen Wert einbüßen mussten. Dieser Umbau wurde vom landeskirchlichen Orgelrevisor Alfred Hoppe aus Verden / Aller begleitet.

1964 | Der Umbau wurde durch den Einbau vier neuer Zungenstimmen der Firma Giesecke abgeschlossen.

1992 | Ab 1992 traten immer wieder teils auch gravierende Schäden auf, die eine Spielsicherheit nahezu ausschlossen.Im gleichen Jahr wurde durch den kirchlichen Orgelrevisor im Rahmen der landeskirchlichen Visitation die „Abgängigkeit“  attestiert und ein Neubau empfohlen.

2006 | Erste Planungen auf Vorschlag der Domgemeinde, die neue Domorgel als Bach-Orgel zu konzipieren. Im gleichen Jahr eine Bereisung Mitteldeutschlands. Unter anderem Waltershausen, Naumburg, Altenburg, Erfurt.

2007 | Beschluss über den Orgelneubau gemäß der Projektierung von Professor Harald Vogel. Bereisung verschiedener Orgelbaufirmen

2009 | Ausschreibung des Projekts und Einholung der Kostenvoranschläge verschiedener Orgelbaufirmen.

2010 | Im März wurde Auftragserteilung zum Bau der Domorgel durch die Klosterkammer der Brandenburgischen Orglbaufirma Alexander Schuke zugeschlagen. Laut Disposition werden sich 46 Register auf III Manualwerke und Pedal verteilen.

2012 | Am 15. Januar fand die Einweihung unserer Orgel unter großem Interesse der Musikliebhaber und Gemeindeglieder in einem Festgottesdienst statt. Der Gottesdienst wurde von mehr als 800 Personen besucht. Landessuperintendet Dieter Rathing predigte über Psalm 150. Die musikalische Ausgestaltung des Gottesdienstes übernahmen LKMD i.R. Prof. Dr. Harald Vogel und Domorganist Peter Johannes Elflein.

Seitdem begleitet unsere neue Orgel zuverlässig unsere zahlreichen Gottesdienste und wirkt bei vielen Konzerten mit. Sie erklingt regelmäßig in der Konzertreihe „Lüneburger Orgelsommer“.